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Museen digital

gesteuert werdenkönnen. Gemündet ist dieseErkenntnis inhäufig

klar formulierten »digitalen Strategien«, die das Digitale als »a

dimension of everything« betrachten, wie es kurz und bündig in

der Londoner Tate Gallery heißt. Das

Konservieren

der Werke als

eines der Hauptaktionsfelder des Museums ist heute ohne com-

putergesteuerte Analyseverfahren ganz undenkbar geworden, die

Dokumentation

erfolgt sinnvollerweise in speziell designtenDaten-

banken, die

Erforschung

derKunst wird immer umfangreicher von

digitalen tools und Suchmöglichkeiten unterstützt, und selbst für

das

Sammeln

stehen meist sehr professionell gestaltete Verkaufs-

kataloge der Kunsthändler, Galerien und Auktionshäuser zur Ver-

fügung. Hinzu kommen die erheblichen Produktivitätsgewinne,

die durch eine konsequente und wohl organisierte Anwendung

digitalerKommunikations- undVerwaltungsmittel zu erzielen sind.

(2) Auch der fünfte der vom International Council of Museums

(ICOM) definierten Aufgabenbereiche des Museums wird heu-

te mehr und mehr vom Digitalen beeinflusst, zumindest wenn

man die Praxis mancher angelsächsischer und niederländischer

Museen betrachtet – was im Übrigen natürlich nicht heißt, dass

hier inzwischen vielfach nicht auch Institute in anderen Ländern

nachgezogen hätten. Gemeint ist die

Präsentation

, die neben der

klassischen Ausstellung der Werke in den Räumen des Museums

immer stärker elektronische, vornehmlich imInternet angesiedelte

Begleitinstrumente vorsieht. Das beginnt schonbei den

Bilddaten-

banken

der eigenen Besitztümer, die in vielen Fällen – genannt

seiendasClevelandMuseumof Art unddasMetropolitanMuseum

in New York, aber auch die großen Londoner Institute und das

Rijksmuseum in Amsterdam – den kompletten Bestand im Netz

präsentieren oder in absehbarer Zukunft präsentieren werden. Im

Rahmen einer konsequenten Open Access-Politik werden hier so-

gar hochqualitativeReproduktionenderWerke einerÖffentlichkeit

zurVerfügung gestellt, die vielfach ausdrücklichdazu aufgefordert

wird, von diesen Reproduktionen einen möglichst phantasievol-

len Gebrauch zu machen. Ganz in den Hintergrund tritt hier die

anderswo weiterhin dominierende Vorstellung, der Gebrauch der

Werke müsse kontrolliert und monetarisiert werden. Beides wohl

inderGewissheit, dass zu viel Kontrolle kontraproduktiv und allzu

viel Geldmit demVerkauf der Reproduktionsrechte auch nicht zu

verdienen ist.

NebenderVeröffentlichung derBildreproduktionenund -daten

imInternet aber stehenweitere digitale Instrumente,mit denendie

Museen ihr Publikum anlocken, binden, unterhalten und bilden

wollen. In das Feld der

Gamification

gehörenmannigfaltige Spiele,

bei denen z. B. das Getty Museum in Los Angeles hervorsticht.

Spielen gilt hierzulande immer noch als tendenziell unseriös (trotz

Schiller); anderswo hat man längst entdeckt, dass es kaum eine

effektivere Bildungs- und Unterhaltungstechnik gibt. Englische

Museen haben zuweilenmehrereMillionen follower bei den

Social

Media,

über die sie nicht nur zuVeranstaltungen einladen, sondern

die sie virtuos zur Publikumsbindung nutzen. Am bedeutsamsten

scheintmir die dort vielfach zubeobachtendeBereitschaft, denBei-

trag des Publikums in einemproduktivenundnicht nur rezeptiven

Sinne ernst zu nehmen. Über diverse

Crowdsourcing

-Projekte,

die von der Annotierung von Kunstwerken bis zum selbstverant-

wortlichen, aber idealerweise von Museumskustoden begleiteten

Organisieren von Ausstellungen reichen können, hat sich hier eine

erstaunliche Aktivität entwickelt, die sich auch davon nicht ab-

schrecken lässt, dass der Erfolg nicht in jedem Fall gesichert ist.

Wie gesagt, auch in Deutschland tut sich seit einiger Zeit in der

Museumsszene etwas. Es bleiben aber genügend Möglichkeiten,

hier noch weiter aufzuholen. Zunächst einmal müsste sich eine

Aufgeschlossenheit allerMitarbeiter*innenderMuseengegenüber

demDigitalen einstellen, es reicht nicht aus, solcherart Aktivitäten

auf bestimmte Abteilungen, etwa die Pressestelle, zu begrenzen.

Zweitens müsste in einer längeren Reflexionsphase sorgfältig ge-

plant werden, in welche Richtung man denn insgesamt gehen will.

Jede geplanteAktivitätmuss daraufhinbefragtwerden, ob sie nach-

haltig sein kann, Schnellschüsse verbieten sich. Drittens sollten

synergetische Potenziale genutzt werden. Anstatt jetzt eine eigene

Datenbank aufzulegenwäre z. B. zu überlegen, ob es nicht viel ein-

facher und kostengünstiger ist, in der cloud zu dokumentieren.

A propos kostengünstig: Was dabei wie immer unverzichtbar ist,

dürfte das Geld sein. Mit der Digitalisierung geht ein Paradigmen-

wechsel einher. Und den gibt es nicht umsonst.

Professor Dr. Hubertus Kohle ist Kunsthis-

toriker an der LMU München mit starken

Interessen in der digitalen Kunstgeschichte.

@hkohle

#digitalarthistory

blog.arthistoricum.net

Screenshot linke Seite: Datenbank des

Rijksmuseum/Amsterdam

rijksmuseum.n

l/en/search?f=1&p=1&ps=12&st=Objects&ii=0

Crowd-curated exhibition am Brooklyn

Museum/Nw 2008

artstuffmatters.files.

wordpress.com/2010/08/8-8-08-073.jpg

Datenbank des Rijksmuseum/Amsterdam

rijksmuseum.nl/en/search?q=rem-

brandt&v=&s=&ii=0&p=1

Getty Museum Games

getty.edu/gettygames/detectives

Zum Weiterlesen:

Kohle, Hubertus:

Museen digital. Eine

Gedächtnisinstitution sucht den Anschluss

an die Zukunft.

Heidelberg University

Publishing, Heidelberg, 2019

Foto: Heidrun Hertel