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Wirft man heute einen Blick in die Ateliers von Künstlerinnen
und Künstlern, so kann es sein, dass man diese nicht mit Pinsel
und Palette vor einer Leinwand stehend findet, mit Hammer
und Meißel einen Stein behauend oder mit einem Schweißgerät
an diversenMaterialien bastelnd, sondern sitzend, tippend und
klickend vor einer Reihe von Bildschirmen. Sie skripten und
coden, überlegen sich Verhaltensbäume, die dann animierte
Figurensteuern.UmsieherumliegenHeadsets,Controller,Ka-
bel, Sensorboxen. Sie schaffenWerke in der virtuellenRealität
(VR) – immersive, dreidimensio-
nale computergene-
rierte Bilderräume, in die man
über eine VR-Brille
eintauchen kann. Es sieht
nicht aus, als würde
hier Kunst geschaffen, so wie
man sich diesen
Prozessklischeehaft vorstellt.
Zunächst wür-
de man sogar vermuten, es
eher mit Spieledesignern zu
tun zu haben. Und damit hat
man auch schon erkannt, vor
welcher Herausforderung die-
se innovativenKünstler*innen
mit ihrem neuen Medium ste-
hen: Sie müssen die Kunstwelt da-
von überzeugen, dass dies Kunst ist.
Soziologisch betrachtet, ist die
Kunstwelt ein Gefüge vieler
arbeitsteilig miteinander ko-
operierender Akteur*in-
nen. Diese Kooperation
ist möglich, weil alle Be-
teiligten, die Kunstproduzierenden, die
Vermittler*innen und Distributor*innen,
die Kritiker*innen und das Publikum, ein ge-
meinsames Wissen darüber teilen, was und wie
etwas in der Kunstwelt getan wird. Beispielweise ha-
ben Kunstwerke bestimmte Größen und Formate, um schon rein
räumlich in Museen und Galerien zu passen und somit ausgestellt
werden zu können. Installationen dürfen ein bestimmtes Gewicht
nichtüberschreiten,damitsievomMuseumsbodengetragenwerden
können.Manerkennt sehr schnell, dassman sich ineinemMuseum
oder einer Galerie befindet, denn diese etablierten Kunsträume
sind auf eine bestimmte Art undWeise inszeniert. Wir stellen uns
ein typisches Kunstwerk immer noch so vor: Es ist gemalt, es ist
eckig und es ist ein Unikat.
Und wer kennt nicht den vor
einemKunstwerk stehenden, in
sich vertieften und nachdenklich die
Augenbrauen hebenden Betrachter oder
dieMenschentraube umdie Kunstpädagogin, die gemeinsam vom
Kunstwerk zuKunstwerk zieht?
Viele dieser Konventionen des Kunstbetriebs werden durch die
VR-Kunst herausgefordert. So fragen sichKurator*innen, wieman
VR in einem analogen Raum vor Ort ausstellen kann, denn diese
Kunst entfaltet sich im virtuellen Raum, ist mit der Datenbrille
überall erfahrbar und somit nicht auf einen Ausstellungsraum an-
gewiesen. Galerist*innen suchen nach neuen Wegen, VR-Kunst
Science Slam
Mariya Dzhimova ist nach einem Soziologiestudium in Mannheim und
Berlin wissenschaftliche Mitarbeiterin im Post/Doc Lab Digital Media
am MCTS der Technischen Universität München und promoviert über
VR und die Übersetzungsprozesse dieser Technologie in ein künstleri-
sches Medium. Als bei ihrer Doktorarbeit über intelligente Stromnetze
die Spannung abfiel, fand sie bei einer VR-Ausstellung in Basel einen
neuen Anschluss.
Text: Mariya Dzhimova
Science Slam
–
Virtual Reality