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aviso 2 | 2015
Böhmen und Bayern
bayerns verborgene schätze
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Geschichte(n) grenzenlos
Das Webportal »Porta fontium« macht Quellen zur
bayerisch-tschechischen Geschichte zugänglich
Text:
Maria Rita Sagstetter
Hinter Furth i. Wald,
Waidhaus
und Waldsassen war die Welt zu Ende –
zumindest galt dies in den Tagen mei-
ner Kindheit, als Familienausflüge in
Richtung Osten regelmäßig und wie
selbstverständlich spätestens vor dem
Eisernen Vorhang endeten. Wer hätte
sich noch vor 25 Jahren träumen lassen,
dass die Grenze, die nicht nur Ostbayern
von der damaligen Tschechoslowakei,
sondern darüber hinaus die Mitglieds-
staaten von NATO und Warschauer-
Pakt voneinander trennte, eines Tages
so durchlässig sein würde für politische,
wirtschaftliche, soziale und kulturelle
Kontakte und Kooperationen, ja sogar
für kollegiale und private Freundschaf-
ten, wie wir dies heute erleben? Dabei
gab es diese vielfältigen nachbarschaft-
lichen Beziehungen zwischen Bayern
und Böhmen schon vor dem Eisernen
Vorhang, und dies über viele Jahrhun-
derte hinweg.
Ein schönes Beispiel für gegenwärtige
grenzüberschreitende Kooperationen
stellt das Projekt »Bayerisch-tschechi-
sches Netzwerk digitaler Geschichtsquel-
len« dar, das die Staatlichen Archive Bay-
erns und das Staatliche Gebietsarchiv in
Pilsen 2009/10 mit Hilfe von EU-För-
dermitteln auf denWeg gebracht haben.
Ziel ist es, Archivalien aus bayerischen
und tschechischen Archiven, die die his-
torischen Beziehungen zwischen beiden
Ländern dokumentieren, zu digitalisie-
ren, neu zu erschließen und virtuell auf
dem hierfür eingerichteten neuen Web-
für die Forschung wie für interessierte
Laien leichter zugänglich zu machen.
Insbesondere Bestände, die im Zuge der
historischen Ereignisse zwischen 1938
(Abtretung des Sudetenlandes an das
»Deutsche Reich«) und 1948 (Macht-
übernahme der Kommunisten in Prag)
zerrissen und auf verschiedene tsche-
chische und bayerische Archive verteilt
wurden, wo sie für die jeweilige Gegen-
seite lange kaum oder überhaupt nicht
einsehbar waren, werden mittels mo-
derner Technik wieder vereinigt und im
weltweiten Netz für jedermann verfüg-
bar gemacht.
Von bayerischer Seite
wurde
der im Staatsarchiv Amberg verwahr-
te reiche Urkundenbestand des ehe-
maligen Zisterzienserklosters Wald-
sassen – über 1600 Dokumente aus
der Zeit von der Gründung um 1132
bis zum Jahr 1798 – in »Porta fonti-
um« eingestellt. Er wird durch 57 Ur-
kunden derselben Provenienz, die sich
im Kreisarchiv Eger (tsch. Cheb) befin-
den, ergänzt wird. Waldsassen verfüg-
te über eine weitgehend geschlossene
Herrschaft im sog. Stiftland und war
seit seiner Frühzeit auch im nordwest-
lichen Böhmen begütert. Zentrum der
böhmischen Besitzverwaltung war das
1203 erstmals urkundlich belegte »Stein-
haus« in Eger. Die Urkunden dokumen-
tieren die Beziehungen des Klosters zur
Stadt Eger, der Deutschordenskom-
mende Eger und den dortigen Klöstern.
Die böhmischen Herzöge und Könige
bedachten die Zisterziensermönche
oben
Farbige Nachzeichnung des böhmischen Her-
zogssiegels an einer Urkunde von 1184/85.
oben Mitte
Grenzgänger im Kunsthandwerk: Maria
Magdalena, Ehefrau (»Eheconsortin«) von Franz Paul
Morazi, Bürger und »Stukator« von Waldsassen,
verkaufte 1737 dem Kloster Waldsassen ein Feld am
Poxdorfer Weg oberhalb der Papiermühle – ihren
Angaben zufolge »mit Willen und Consens« ihres Ehe-
manns, »so dermallen abwesent und zu Prag in
Arbeith« sei. Der aus Italien stammende Morazi hatte
1725 als Gehilfe des Münchner Stukkateurs Jakob
Appiani an der Ausgestaltung der Decke und der
Wandflächen in der berühmten Waldsassener Kloster-
bibliothek mitgewirkt und 1726 die Tochter des Bau-
meisters Bernhard Schießer geheiratet.
daneben
Nachzeichnung des Egerer Stadtsiegels
(+ SECRETVM . CIVIVM . IN . EGRA)
an einer Urkunde von 1508.
darunter
Herzog Friedrich von Böhmen schenkte mit
dieser Urkunde 1184/85 zu seinem Seelenheil und
dem seiner Vorfahren dem Kloster Waldsassen
das Dorf Weinern (tsch. Vinarˇe) in der damaligen Graf-
schaft Saaz (tsch. Žatec) sowie einen Hof bei Prag.
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