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aviso 1 | 2018
SKIZZE UND IDEE
COLLOQUIUM
Dr. Christiane Schachtner
leitet als Forschungsstipendiatin
der Gerda-Henkel-Stiftung seit Sommer 2015 das Skizzen-
buch-Forschungsprojekt an der Staatlichen Graphischen
Sammlung München und entwickelte das kuratorische Konzept
für die Ausstellung »SkizzenBuchGeschichte[n]«, die vom
22. Februar bis 21. Mai 2018 in der Pinakothek der Moderne
zu sehen ist. Begleitet wird die Ausstellung durch ein viel-
gestalti
ges Kunstvermittlungs- und Vortragsprogramm – mehr
dazu un
ter: www.sgsm.eu.Zum Weiterlesen:
SkizzenBuchGeschichte[n]. Skizzenbücher der Staatlichen
Graphischen Sammlung München, herausgegeben von
Christiane Schachtner und Andreas Strobl, Deutscher Kunst-
verlag: Berlin 2018.
Zur weltweiten Initiative der›Urban Sketchers‹:
www.urbansketchers.org Zum ›Sketchbook Project‹, Brooklyn Art Library, New York:
www.sketchbookproject.comSpurensuche
Skizzenbücher wurden lange Zeit in den Werkstätten der
Künstler oder durch Buchbinder in Einzelanfertigung her-
gestellt. Doch viele der Bücher des 19. Jahrhunderts weisen
bereits Etiketten von nationalen wie internationalen Händ-
lern für Künstlerbedarf auf. Seriell gefertigte Skizzenbücher
konnten bereits um 1800 in den großen Städten Europas
wie Paris und Rom einfach und gebrauchsfertig erworben
werden. In vielen der Skizzenbücher im Münchner Bestand
finden sich Händleretiketten bzw. kleine Händlerstempel
(seltener auch Prägungen auf dem vorderen Buchdeckel im
Gewebe), die dokumentieren, bei welchem Künstlerbedarfs-
händler das jeweilige Exemplar erworben wurde. Im direk-
ten Vergleich mit anderen Skizzenbüchern bzw. anhand der
Unternehmensgeschichte können Datierungen der Händler
etiketten als terminus postquem auch zu Datierungen der
Aufzeichnungen imBuch herangezogen werden. Ein Blick in
historische Sortimentskataloge zeigt, welch reiches Angebot
an Skizzenbüchern bereits um 1900 zur Verfügung stand. Es
ist anzunehmen, dass die einfache Verfügbarkeit durch große
Sortimente günstiger, gebrauchsfertiger Skizzenbücher sich
auf die Nutzung der Bücher auswirkte und zu einem unbe-
fangenerem Umgang mit diesen führte.
VERMUTLICH HAT SICH
nur ein kleiner Teil historischer Skizzen-
bücher als ganzes Buchobjekt bis heute intakt erhalten. Viele
wurden wohl aufgelöst und nur die als qualitativ hochwertig
angesehenen Blätter weiter aufbewahrt oder auf den Markt
gebracht. So tauchen in Graphischen Sammlungen aber auch
in Nachlässen und im Kunsthandel häufig Einzelblätter auf,
die ursprünglich Bestandteil von Skizzenbüchern waren. Bei
genaueremHinsehen erkennt man an den Papieren buchspe-
zifische Besonderheiten, die dies belegen. Meist sind die drei
einstigen Außenkanten des Buchblocks exakt gerade, während
eine vierte, an der das Blatt einst eingebunden war, Spuren
des Herausreißens oder -schneidens trägt. ZumTeil entdeckt
man auch noch winzige Löcher, an denen die Nadel bei der
Fadenheftung das Papier durchstoßen hat oder Spuren einer
Perforation. Oftmals ist das Papier an den äußeren Ecken ab-
gerundet oder durch den Gebrauch bestoßen, durch häufiges
Umblättern stärker verschmutzt oder (etwa durch ›Esels-
ohren‹) beschädigt. Die drei geschnittenen Kanten zeigen –
sofern sie zu Büchern mit eingefärbtem oder marmoriertem
Schnitt gehörten – zum Teil noch Spuren dieser Farben auf
oder aber sind etwas stärker gedunkelt bzw. gegilbt, da sie
(wenn sich die Heftung durch intensiven Gebrauch gelockert
hatte) stärker dem Licht ausgesetzt waren als die (durch die
Lage im Buchblock geschützten) Flächen der Seiten.
AUCH DIE FORMALE
Besonderheiten in der Erscheinung der
Mal- und Zeichenmittel auf einem Einzelblatt können auf
eine frühere Zugehörigkeit zu einem Skizzenbuch verweisen.
Skizzenbuchseiten werden natürlichmeist beidseitig bezeich-
net, wobei sich hierbei immer wieder beobachten lässt, dass
die Orientierung der Recto- und Verso-Seiten um 180 Grad
voneinander abweicht, was sich daraus erklärt, dass viele
Künstler das Skizzenbuch im Gebrauch auch einfach wen-
den, um sowohl von vorne als auch von hinten her hinein zu
zeichnen und zu schreiben.
Wurden nicht nur einzelne Seiten aus Skizzenbüchern her
ausgetrennt, sondern Bücher gänzlich aufgelöst kann der
Versuch einer Rekonstruktion unternommen werden. Über-
einstimmende Formate, Papierqualitäten undWasserzeichen
buchspezifische, materielle Details undmaltechnische Spuren
liefern wertvolle Belege und Hinweise für die Rekonstruktion
solcher Gruppen einst zusammengehöriger Skizzenbuchseiten.
SkizzenBuchGeschichte[n]
Mit der Ausstellung steht das Medium Skizzenbuch erstmals
im Mittelpunkt einer umfassenden musealen Präsentation.
Die Staatliche Graphische Sammlung München bewahrt
etwa 260 Skizzenbücher vom 18. Jahrhundert bis in die Ge-
genwart, vonMalern, Zeichnern, Bildhauern und Architekten.
Anhand dieses reichen Bestandes zeichnet die Ausstellung
die Entwicklungsgeschichte des Mediums nach und entwirft
zugleich eine Typologie. Über die Jahrhunderte hinweg bis
in die Gegenwart entstehen Begegnungen und Dialoge zwi-
schen Skizzenbüchern, KünstlerInnen und BetrachterInnen.
Die Bücher beginnen, ihre je eigene Geschichte zu erzählen!