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Lasst Kinder im Dreck spielen

Im Körper der Yanomami – eine indigene Volksgruppe

im Amazonasgebiet – leben einer Untersuchung zufolge

doppelt so viele Bakterien als in Menschen der westliche

Lebensweise. Was bedeutet dieser Befund für uns?

Das Mikrobiom ist ein faszinierendes Thema. Wie-

so bestehen wir als Menschen aus mehrmikrobieller

DNA als aus eigener DNA? Wie ist das Zusammen-

spiel dieser zahlreichen Mikroben mit unserem eige-

nen Organismus? Seitdem wir diese Mikroben mit

DNA-Fingerabdrücken untersuchen können, haben

wir viel gelernt, bewegen uns aber noch sehr auf der

beschreibenden Oberfläche. Wir können Zusammen-

setzungen des Mikrobioms, eben zum Beispiel eines

westlichenMenschen und eines Yanomami, beschrei-

ben, aber wir wissen nicht genau, welche Komponen-

ten des Yanomami-Mikrobioms für denmenschlichen

Organismus wirklich wichtig sind. Die Natur ist sehr

einfallsreich, divers und redundant und das erschwert

es uns zu verstehen, welches die essentiellen Kompo-

nenten des Mikrobioms sind, die wir möglicherweise

heute verloren haben.

Wärenwirwiderstandsfähiger, wennwir schon inderKind-

heit mehr Bakterien aus der Umwelt aufnehmen würden,

sprich: ein artenreicheres Mikrobiom auPauen würden?

Das menschliche Mikrobiom steht im Austausch mit

dem Umweltmikrobiom und beide mit dem Immun-

system des Menschen, welches in der Kindheit lernt,

mit dieser Umwelt zurecht zu kommen. Es ist also

ein Anpassungsprozess, der von der Umwelt abhängig

ist. Die Umgebung des Yanomami ist voller pflanzli-

cher, tierischer und Erdbestandteile. Ich könnte mir

vorstellen, dass die alleinige Übertragung eines Yano-

mami-Mikrobioms auf einen westlichen Menschen

möglicherweise zu Infektionen oder Überreaktionen

des Immunsystems führen könnte. Es erscheint mir

sinnvoller, erst einmal zu verstehen, wie diese wech-

selseitigen Interaktionen funktionieren und dann ge-

gebenenfalls dort zu substituieren, wo wir wirklich

entscheidende Impulse verloren haben. In jedem Fall

versucht die heutige Forschung zu verstehen, was das

Mikrobiomdes Menschen und der Umwelt für ein ge-

sundes Immunsystem bedeuten.

Was ist denn nun dran an der These, dass Kinder, die im

Dreck spielen, widerstandsfähiger sind?

Dreck ist nicht Dreck. Dreck in der Stadt, zum Bei-

spiel an viel befahrenen Straßen, beinhaltet zahlreiche

Schadstoffe. Ob Dreck wirklich vor der Entstehung

von Allergien schützt, ist nicht wirklich erwiesen. Hin-

gegen schützt das Aufwachsen auf einem traditionel-

len Bauernhof.

Ist der Land-Dreck also besser als der Stadt-Dreck?

Land ist nicht grundsätzlich besser als Stadt. Aller-

dings schützt das Aufwachsen auf einem traditionellen

Bauernhof vor Asthma und Allergien. Dabei sind zwei

Faktoren besonders wichtig: zum einen der Konsum

der eigenen Milch vom Hof und zum zweiten der

Aufenthalt im Kuhstall. Wir haben in der PASTU-

RE Geburtskohorte, einem Zusammenschluss von

Forschergruppen aus fünf Ländern, gesehen, dass in

jedem Land das Asthmarisiko bei Kindern, die schon

im ersten Lebensjahr in einen Kuhstall mitgenommen

wurden, ummehr als die Hälfte reduziert wurde. Da-

bei gab es auch einen Dosis-Effekt: der Schutz war am

stärksten, wenn dies für mehr als 20 Minuten pro Tag

erfolgte.

Junge Eltern sind oft verunsichert:Was tun, wenn das Kind

den Sandkuchen auf dem Spielplatz in den Mund steckt,

den Schnuller, der gerade auf die Straße gefallen ist oder

denKeks, den das verschnupfteNachbarskind gerade noch

imMund hatte?

Da gibt es leider keine klaren Richtlinien. Vielleicht

kann man empfehlen, sich nicht allzu sehr zu sorgen,

wenn so etwas passiert, es aber auch nicht zu forcieren.

Für klare Handlungsempfehlungen ist es aber noch

zu früh.

Und was könnte man für die Stadtkinder tun, die selten in

einen Kuhstall kommen?

Wir arbeiten daran, eine Übertragung des Kuhstallauf-

enthalts in Form eines Nasensprays zu verwirklichen.

Das ist aber ein arbeitsreichesVorhabenundwirdbis zur

Realisierung noch Zeit und Finanzspritzen brauchen.

Illustrattion: Karin Kolb

EM

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Professorin Dr. med. Dr. h.c. Erika von Mutius: Die Medizin machte

ihr eigentlich erst dann so richtig so Spaß, als sie die Pädiatrie für sich

entdeckte und die Unmittelbarkeit der kleinen Patienten. Deshalb

bewarb sie sich nach dem Medizinstudium an der Ludwig-Maximlians-

Universität München um eine der begehrten Stellen am Dr. von

Haunerschen Kinderspital. Zuerst sah es gar nicht erfolgversprechend

aus, dann erhielt sie einen Dreimonatsvertrag und schließlich doch

die Aussicht bleiben zu können, wenn sie an einem Projekt mitarbei-

ten würde, gefördert vom Bayerischen Umweltministerium – ihr

erstes Forschungsprojekt. Damals war die Untersuchung der Rolle der

Luftverschmutzung bei der Entstehung von Pseudokrupp von großem

politischen Interesse.

Durch ihre eigene Tätigkeit in der Asthma- und Allergieambulanz

wurde ihr aber schnell bewusst, wie wichtig es wäre, mehr über

Asthma zu wissen. Ende der 1980er-Jahre gab es kaum epidemiologi-

sche Studien in Deutschland, keine Zahlen zum Asthma- und

Atopie-Vorkommen, und auch die Risikofaktoren waren noch nicht

untersucht. Ab diesem Punkt kam eins zum anderen und insbeson-

dere ihr Forschungsaufenthalt bei Fernando Martinez in Tucson,

Arizona 1992/1993 war der entscheidende Funken, um die Begeiste-

rung für die Forschung dauerhaft in ihr zu entzünden.

Seitdem wurde unter ihrer Federführung in zahlreichen interdiszipli-

nären, multizentrischen populationsbasierten Studien die Rolle

genetischer und umweltbedingter Risiko- und Schutzfaktoren für

Asthma und allergische Erkrankungen im Kindesalter sowohl auf

nationaler als auch auf internationaler Ebene untersucht. Ihr aktuelles

Forschungsinteresse gilt insbesondere der Rolle der mikrobiellen

Exposition bei der Prävention von Asthma und Allergien im Kindesalter.

Das Interview führte Aviso-Redakteurin Dr. Elisabeth Donoughue.