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aviso 4 | 2015

ZUKUNFT STADT

COLLOQUIUM

Verbietet das Bauen! oder

Der Publizist Daniel Fuhrhop plädiert in seinem Buch »Ver-

bietet das Bauen!« und seinem gleichnamigen Blog für einen

radikalen Wandel: Statt in jedem Jahr eine Stadt wie Bonn

neu zu bauen, schlägt er vor, Abriss zu verhindern, Leerstand

zu beseitigen, die Häuser weiter, neu und besser zu nutzen.

Der Münchner Architekt Muck Petzet hat 2012 den deutschen

Pavillon für die Internationale Architekturausstellung, La

Biennale di Venezia, gestaltet. Unter demMotto: »Reduce –

Reuse – Recycle« stellte er architektonische Positionen und

Strategien vor, die vorhandene Bausubstanz als Potenzial

und Inspiration zur Weiterentwicklung begreifen. Hier

einige Impressionen aus einem Gespräch der beiden über

Gemeinsamkeiten und Unterschiede in der Reihe »Wahr-

heit beginnt zu zweit« in Fuhrhops Blog.

FUHRHOP:

Wenn man als Architekt sagt, man solle den

Bestand wertschätzen und sich nicht so mit Neubau beschäf-

tigen, ist das nicht geschäftsschädigend für die eigene Bran-

che, den eigenen Beruf?

PETZET:

Selbstverständlich kann man auch als Architekt

mit Umbau Geld verdienen. Tatsache ist, dass wir uns in

Deutschland überwiegend mit Bestandsarchitektur beschäf-

tigen und dass das eine spannende Aufgabe ist. Für mich

besteht kein so großer Unterschied zwischen Umbauen und

Bauen. Gefragt ist ein anderes Denken, eine neue Haltung.

Es geht darum, diese Unterscheidung zwischen dem Bauen

als dem neuen Schaffen, dem kreativen Akt und dem Um-

bauen als »etwas ganz anderes« aufzuheben – und darum

geht es Ihnen ja auch. Bauen geht immer vom Bestehenden

aus. Auch wenn ich ein leeres Grundstück habe, dann ist da

auch schon was.

FUHRHOP:

Ich sehe durchaus einen Unterschied zwischen

Neubauen und Umbauen, etwa im Verbrauch der Ressour-

cen. Ich habe den Eindruck, dass sich diese Unterschiede

bei Ihnen doch etwas verwischen. Kann es sein, dass diese

Gleichsetzung von Neu- und Umbauen in einer architektur­

ästhetischen Perspektive gründet?

PETZET:

Mit der Ausstellung wollte ich die Außensicht kri-

tisieren, in der es diese klare Trennung gibt, dieses Schwarz-

Weiß: das ist das Alte, Dunkle, Düstere, Schmutzige, Unge-

sunde, Irrationale, das ist das Neue, Helle, Weiße, Gesunde

Rationale. Diese künstliche Unterscheidung führt zu »Stil-

blüten«, zu dem unversöhnlichem Tabula –Rasa-Denken der

60er und 70er Jahre, wo man sehr rücksichtslos vorgegan-

gen ist, ein typischer Auswuchs der Moderne. Dahinter steckt

dieser Anspruch: Wir schaffen eine neue Welt. Wir schaffen

die Architektur neu. Diese Haltung wirkt bis heute weiter:

Wir verstehen den Architekten als Neuschöpfer. Bis heute

gilt Umbau für den Architekten als ehrenrührig – da kann

ich ja mein Ego gar nicht ausbreiten. Dabei war das Normale

schon immer das Weiterbauen. Wir brauchen bei den Archi­

tekten mehr Respekt für das Vorhandene, das Interesse an

dem, was sie vorfinden, das als Impuls wirken kann, an dem

sie sich reiben.

FUHRHOP:

Ein großer Verdienst Ihres Ausstellungspro-

jekts besteht darin, dass Sie sprachlich experimentiert

haben, Formulierungsvarianten gefunden haben, mit dem

Bestand umzugehen, in dieser Botschaft an junge Archi-

tekten, die jetzt Vorbilder bekommen, die sich mit dem

Bestand beschäftigen. Hier sind wir nah an dem, was ich mit

dem Blog und meinem Buch »Verbietet das Bauen« möch-

te: Dahinter steht die Forderung, erstmal zu schauen, was

haben wir an Gebäuden, Flächen, wie nutzen wir das, nut-

zen wir das wirklich effizient? Würde man sich diese Frage

als Nutzer, als Bauherr, als Politiker stellen, dann würde man

feststellen, dass Neubau in sehr vielen Fällen nicht nötig ist.

Nur ist das mit Mühe verbunden und davor schrecken viele

Entwickler und auch der ein oder andere Architekt zurück,

weil es ein zusätzlicher Aufwand ist und vielleicht weniger

Profit bringt. Oder ist das ein Vorurteil?

PETZET:

Es gibt ja diese Redensart in Bayern: »Wer reich ist

und dumm, kauft sich a oids Haus und baut’s um«. In Wirk-

lichkeit ist es aber ganz anders: Für die Kosten, eine Woh-

nung abzureißen und neu zu bauen, kann man drei bis vier

Wohnungen in einem guten Standard herrichten. Und mit

Umbau lässt sich auch Geld verdienen.

Allerdings werden Neubauprojekte und Umbauprojekte

von den Prozessen her gleichbehandelt, was nicht richtig ist.

Bestimmte kreative Prozesse, die beim Umbauen notwendig

sind, sind gar nicht vorgesehen. Dabei ist die kreative Leis­

tung in der Vorbereitungsphase eines Umbauprojekts extrem

hoch, weil man feststellen müsste, wie denn Bauprogramm

und Bestand zusammen passen. Dieser Anpassungsprozess,

die Entwicklung des Programms mit dem Bauherrn zusam-

men macht die Spannung der Umbaugeschichten aus.

Sie haben vorhin die sprachliche Ebene angesprochen. Tat-

sächlich ist der Umgang mit der Sprache essenziell. Es gibt

keine angemessene Sprache für diese komplexen Prozesse.

Die drei Begriffe aus der Abfallwirtschaft, die wir für den

Deutschen Pavillon der Biennale in Venedig gewählt haben,

Gespräch:

Daniel Fuhrhop

und

Muck Petzet